Schwerste Menschenrechtsverbrechen verhüten

Schwerste Menschenrechtsverbrechen verhüten – Die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) zwischen Notwendigkeit, Tücken und Umsetzung – Herausforderung für deutsche Sicherheits – und Friedenspolitik [1]

von Winfried Nachtwei, MdB a.D., Münster: Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention beim AA (Co-Vorsitzender), im Vorstand der Dt. Gesellschaft für die Vereinten Nationen und des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, Juni 2012

Winfried Nachtwei

Winfried Nachtwei

Mit den Gewaltexzessen von Libyen und Syrien hat die internationale Verantwortung zum Schutz vor schwersten Menschenrechtsverbrechen (Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) eine neue Aktualität und Dringlichkeit bekommen.

Grundsätzlich gilt: Wo Staaten in ihrer Schutzverantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung versagen, geht die Schutzverantwortung auf die Internationale Gemeinschaft über. Diese ist angesichts drohender oder akuter schwerster Menschenrechtsverbrechen zum Handeln verpflichtet. Die Art der Maßnahmen ist abhängig von der Geschlossenheit der Internationalen Gemeinschaft (vor allem im Rahmen der UN) und davon, was aussichtsreich, leistbar und verantwortbar ist. Nicht verantwortbar sind Maßnahmen, die absehbar das Übel noch vergrößern würden. Dementsprechend beinhaltet die internationale Schutzverpflichtung auch das Recht auf eine Militärintervention, wenn es der UN-Sicherheitsrat beschließt, aber keineswegs eine Verpflichtung dazu.

US-Präsident Obama gab am 23. April 2012 bei einer Rede im US Holocaust Memorial Museum in Washington ein umfassendes, bisher nicht dagewesenes Programm zur Verhütung von und zur Reaktion auf Massenverbrechen bekannt. Was der Präsident im August 2011 zu einem „zentralen nationalen Sicherheitsinteresse und zentraler moralischer Verantwortung“ der USA erklärt hatte, wird jetzt in Strukturen, Verfahren und neuen Fähigkeiten operationalisiert. Im Mittelpunkt steht dabei ein hochrangiger, ressortübergreifender „Atrocities Prevention Board“. (www.schutzverantwortung.de )

Im Sommer 2012 wird die UN-Generalversammlung über die dritte Säule der Schutzverantwortung  (nach der Primärverantwortung der Staaten für ihre Bevölkerung und ihre internationale Unterstützung/ASSIST), das breite Spektrum der REACT-Maßnahmen debattieren.

In diesen Wochen drängen sich in der Bundesrepublik hochrangig besetzte und gut besuchte Veranstaltungen zum Thema: am 10. Mai von Genocide Alert zusammen mit der „International Coalition for the Responsibility to Protect“, am 4.-6. Juni in der Evangelischen Akademie Loccum, am 8. Juni bei der Grünen Fraktion im Deutschen Bundestag, am 25. Juni von DGVN-NRW, OB Bonn und Genocide Alert in Bonn. Mit zwei Anträgen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wird die Schutzverantwortung erstmalig zu einem intensiven Debattenthema im Bundestag. Insbesondere der umfassende Grüne Antrag vom 9. Mai 2012 ist mit seiner Differenziertheit ein großer Schritt nach vorn für die deutsche Debatte. Im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationales von Bündnis 90/Die Grünen läuft in Vorbereitung des Parteitages im November seit Monaten ein intensiver und konstruktiver Diskussionsprozess.

Inhalt
  • (1) Erste Begegnungen mit der Schutzverantwortung
  • (2) Historischer Fortschritt
  • (3) Zögerliche Umsetzung
  • (4) Überraschende Aktualisierung
  • (5) Schutzverantwortung in der Kontroverse: Missbrauchsrisiko und Kriegslegitimation, Nichthandeln als Hauptproblem, mangelnde Glaubwürdigkeit vieler Staaten, Verkürzung auf Militärinterventionen, Operationalisierungslücke, Mass Atrocity Response Operations, Spannungsfeld Großgefahrenabwehr und Ursachenbekämpfung
  • (6) Aktuelle Entwicklungen
  • (7) Deutsche „Kultur der Zurückhaltung“: Aus Erfahrung klüger oder Flucht aus der Verantwortung?
  • (8) Schlussfolgerungen
(1) Erste Begegnungen mit der Schutzverantwortung

Bewusst begegnete mir der Grundgedanke der Schutzverantwortung erstmalig mit den Kriegen auf dem Balkan: In der ersten Hälfte der 90er Jahre stritten wir mit Friedensbewegung, Grüner Partei und anderen für konsequentere Gewaltprävention, Sanktionen, Solidarität mit der gequälten Zivilbevölkerung. Gespalten waren wir, ob zum Schutz der Menschen auch militärisch eingegriffen werden sollte. Pazifismus und Warnung vor einer „Militarisierung der Außenpolitik“ lagen im Streit mit dem Vorrang des Menschenrechtsschutzes, zugespitzt im Sommer 1995 nach der Liquidierung der „Schutzzone“ Srebrenica und dem Massaker an ca. 8000 bosnischen Männern und Jungen. Erst im Herbst 1996 wurde uns Teilnehmern einer Delegation von Grüner Fraktion und Parteiführung am Hang über Sarajewo die dreijährige Belagerung und Beschießung der Stadt und ihrer Bevölkerung hautnah bewusst – und die europäische Tatenlosigkeit dem gegenüber.

Im Herbst 1998 warnte UN-Generalsekretär Kofi Annan vor einer drohenden „humanitären Katastrophe“ im Kosovo und mahnte, dass staatliche Führer die Staatssouveränität nicht als Schutzschirm für Menschenrechtsverbrechen missbrauchen dürften.

Bei der Zustimmung der Bundestagsmehrheit im Oktober 1998 zur Androhung von NATO-Luftangriffen gegen Serbien war dann auch das Schutzmotiv ausschlaggebend: Verhinderung „ethnischer Säuberungen“ und eines „zweiten Bosnien“. Überschattet wurde dieser Beschluss durch das Fehlen eines UN-Mandats, wodurch der humanitär motivierte Einsatz in Widerspruch zum Völkerrecht geriet. Indem einzelne Minister der Bundesregierung den Kosovoeinsatz mit einem regelrechten moralischen „overkill“ rechtfertigten und zentrale andere Interessen (z.B. Vermeidung großer Flüchtlingsbewegungen nach Mitteleuropa) übergingen, beeinträchtigten sie gerade in skeptischen Teilen der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit des Einsatzes. Kritisch war dann auch die Umsetzung und Wirkung des humanitär begründeten Einsatzes: Der auf Luftstreitkräfte beschränkte NATO-Einsatz konnte den serbischen Vertreibungsterror am Boden zunächst nicht stoppen. Dieser beschleunigte sich sogar. Zwischen März und Juni 1999 waren 590.000 Menschen intern und 860.000 extern auf der Flucht, wurden im Kosovo ca. 10.000 Menschen getötet, der weitaus größte Teil davon Kosovoalbaner durch serbische Kräfte. Auf der anderen Seite fielen laut Human Rights Watch ca. 500 serbische Zivilpersonen NATO-Luftangriffen zum Opfer.[2]

Während die Gewaltorgie auf dem Balkan in Deutschland verspätet und gespalten wahrgenommen wurde, fand der Völkermord in Ruanda im Frühjahr 1994 in der deutschen Öffentlichkeit und Politik, auch in der Friedensbewegung kaum Beachtung. Dass binnen drei Monaten mehr als 800.000 Menschen abgeschlachtet wurden, dass die Internationale Staaten“ge-meinschaft“ vorgewarnt war, dass sie hätte eingreifen können, es aber nicht tat, wurde mir, wurde uns erst nachtäglich bewusst. Umso mehr ist General a.D. Roméo Dallaire aus Kanada zu danken: Er hat das Versagen der Staatengemeinschaft beim Völkermord in Ruanda als Kommandeur der politisch „gefesselten“ UN-Blauhelme vor Ort schmerzhaft miterlitten. Er kämpft seit Jahren für die Umsetzung des „Nie wieder“ in Tatkraft.[3]

(2) Historischer Fortschritt

Als die auf dem Milleniumsgipfel 2005 versammelten Staats- und Regierungschefs einstimmig die Responsibility to Protect beschlossen, als UN-Generalversammlung und Sicherheitsrat dies billigten, war das ein großer Fortschritt für die Weiterentwicklung von Völkerrecht und Menschenrechten. Bisher waren die Sicherheit der Staaten und die Sicherheit der Menschen getrennte Welten. Jetzt wurden sie miteinander verbunden: Souveränität als Verantwortung und Verpflichtung der Staaten zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; der Übergang der Schutzverantwortung auf die internationale Staatengemeinschaft, wenn der jeweilige Staat nicht in der Lage oder willens ist, seine Bürger vor schlimmsten Menschenrechtsverbrechen zu schützen; die dreistufige Umsetzung als Responsibility to Prevent, to React und to Rebuild. 

Seit 2008 gibt es einen UN-Sonderbeauftragten für die Schutzverantwortung. Der umfangreiche Bericht des UN-Generalsekretärs über die Umsetzung der Schutzverantwortung vom 12. Januar 2009 betont, dass die Schutzverantwortung fest in den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts verankert und eine „Norm im Werden“ sei.[4] Entwickelt wird eine Drei-Säulen-Strategie aus der Schutzverantwortung des Staates, der internationalen Hilfe und Kapazitätsaufbau (assist), der rechtzeitigen und entschiedenen Reaktion (react). Der Anwendungsbereich sollte eng sein (nur die vier Massenverbrechen), die Maßnahmen sollten tief greifen und das gesamte Spektrum an Instrumenten umfassen, die den Mitgliedsstaaten, den UN, regionalen Organisationen und Akteuren aus der Zivilgesellschaft zur Verfügung stehen („narrow but deep“).Die Strategie betont den Wert der Prävention und, wenn diese versagt, einer frühzeitigen und flexiblen Reaktion.

(3) Zögerliche Umsetzung

Angestoßen durch die von der kanadischen Regierung berufene International Commission on Intervention and State Sovereignity (ICISS 2001), aufgenommen von einer hochrangigen UN-Kommission (2004), beschlossen auf dem globalen Treffen der Staaten in New York war die Schutzverantwortung über Jahre doch in erster Linie ein Anliegen von humanitären und Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten – in Nordamerika viel mehr als z.B. in Deutschland. Gefordert war und ist die Schutzverantwortung besonders in Afrika.

Der 2003 offen ausgebrochene Konflikt im westsudanesischen Darfur war laut UN 2004 die „schlimmste humanitäre Katastrophe in der Welt“. In einem Gebiet von der anderthalbfachen Größe Deutschlands und 5 Mio. Einwohnern kamen bis Frühjahr 2008 ca. 300.000 Menschen ums Leben, 2,5 Mio. wurden in die Flucht getrieben. Die gemeinsam von Afrikanischer Union und UN gestellte Friedensmission UNAMID mit ihren 26.000 autorisierten Soldaten und Polizisten wird von den westlichen Staaten nur äußerst zurückhaltend unterstützt – von Deutschland mit zzt. 8 (!) Soldaten, keinen Polizisten und keinem Zivilpersonal.[5]

Ein anderes humanitäres Katastrophengebiet ist die Demokratische Republik Congo (DRC), insbesondere der Osten, wo Milizen seit Jahren wüten: Eine Hölle auf Erden gerade für Frauen. Im Jahr 2006 beteiligte sich Deutschland für einige Monate an der EU-Mission zur Absicherung der Präsidentschaftswahlen. Begründet wurde die Mission mit europäischem Interesse an einer friedlichen Entwicklung in der DRC und humanitärer Verantwortung für eine kriegsgeschundene Bevölkerung. Als die Wahlen einigermaßen über die Bühne gebracht waren, waren die guten Motive schnell vergessen, schrumpfte das Engagement der Bundesregierung wieder zurück auf einzelne gute Entwicklungsvorhaben.[6] Deutsche Unterstützung für MONUSCO? Die insgesamt fast 20.000 Soldaten, Polizisten und Zivilexperten der Kongo-Mission kommen aus 58 Staaten. Die Bundesrepublik ist nicht darunter.

Diese Minimalunterstützung von UN-Friedensmissionen durch westliche und reiche Staaten ist symptomatisch für die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit internationaler Friedens- und Sicherheitspolitik in globaler Verantwortung. Absoluten Vorrang haben weiterhin nationale und Bündnisinteressen. Gegenüber dem entgrenzten „Krieg gegen den Terror“ insbesondere der USA, dem primär bündnispolitisch motivierten Afghanistaneinsatz und dem Einsatz zum Schutz strategisch bedeutsamer Seewege am Horn von Afrika blieb die Schutzverantwortung über Jahre politisch eher ein „Leichtgewicht“.

Eine Gewichtverschiebung machte sich zuerst in den USA im Jahr 2008 vor der Präsidentschaftswahl bemerkbar. Die von Ex-Außenministerin Madeleine K. Albright und Ex-Verteidigungsminister William S. Cohen geleitete „Genocide Prevention Task Force“ legte die Studie „Preventing Genocide – A Blueprint for U.S. Policymakers“ vor.[7] Die Autoren betonen, dass Völkermord und Massenverbrechen amerikanische Werte und Interessen bedrohen. Entwickelt wird eine Comprehensive Strategy mit vielen Optionen zwischen den Extremen von Nichtstun oder Entsendung der Marines. Die konkreten Empfehlungen betreffen die Felder Early Warning, multilaterale Early Prevention, präventive Diplomatie, militärische Optionen, Stärkung internationaler Normen und Institutionen. Von vorrangiger Bedeutung bei der Verhütung von Völkermord sei Leadership – seitens des Präsidenten, des Congress, des amerikanischen Volkes.

Im Mai 2010 verpflichtete sich die US-Regierung in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie, sich gemeinsam mit der Internationalen Gemeinschaft für die Vorbeugung von Massenverbrechen und Völkermord einzusetzen. Im Dezember 2010 verabschiedete der US-Senat einmütig eine von Demokraten und Republikanern gemeinsam eingebrachte Resolution zur Stärkung der US-Fähigkeiten zur Vorbeugung von Völkermord und Massenverbrechen. Am 4. August 2011 erließ Präsident Obama eine Anweisung zur Einrichtung eines ständigen, ressortübergreifenden „Atrocities Prevention Board“. Die Vorbeugung von Massenverbrechen und Völkermord erklärte er zu einem zentralen nationalen Sicherheitsinteresse und einer zentralen moralischen Verantwortung der USA.

EU-Mitgliedsländer gehörten 2005 im UN-Zusammenhang zu den stärksten Befürwortern der Schutzverantwortung; die EU verfügt über die größten und differenzierten Kapazitäten zur Umsetzung der Schutzverantwortung, insbesondere auf der Ebene der Vorbeugung und Unterstützung. Ihr mangelt es aber an politischem Konsens und Willen, die Schutzverantwortung für sich auszuformulieren und in die Tat umzusetzen.

Zusammen mit den anderen EU-Staaten gehörte Deutschland zu den Vorreitern des Internationalen Strafgerichtshofes. Im Juni 2002 trat in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft. Der 2004 von der Bundesregierung beschlossene Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ erhob die Stärkung umfassender Gewaltprävention zum Programm.[8] Der 3. Umsetzungsbericht der Bundesregierung zum Aktionsplan vom Juni 2010 äußert sich mit einem Abschnitt befürwortend zur Schutzverantwortung: Der Bericht des UN-Generalsekretärs von 2009 entspreche dem Grundgedanken des Aktionsplans. Ein besonderer Handlungs- und Operationalisierungsbedarf wird aber nicht signalisiert.[9] In den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesrepublik („Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten“) vom 18. Mai 2011 spielt die Schutzverantwortung keine Rolle (auch nicht im neuen NATO-Konzept vom November 2010). Die Ende 2007 erschienene Studie „Die Schutzverantwortung als Element des Friedens – Empfehlungen zu ihrer Operationalisierung“ von Prof. Sabine von Schorlemer wurde wohl von führenden UN-Experten und Diplomaten unterzeichnet, fand aber in der politischen Öffentlichkeit nur begrenzte Resonanz.[10]

(4) Überraschende Aktualisierung

Umso überraschender war die Wiederbelebung der Schutzverantwortung im Kontext der libyschen Revolution in den ersten Monaten 2011. Mitte Februar begann die Auflehnung gegen das Gaddafi-Regime friedlich im Nordosten und südlich von Tripolis.

Schon am 26. Februar missbilligte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1970 die „groben und systematischen Verletzungen der Menschenrechte einschließlich der Unterdrückung friedlicher Demonstranten“ und die „ausgedehnten und systematischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung“, die „möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen“. Der Sicherheitsrat bekräftigte die Schutzverantwortung der libyschen Behörden gegenüber der eigenen Bevölkerung und forderte sie auf, die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht zu achten. An Maßnahmen beschloss der Sicherheitsrat die Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof, ein Waffenembargo, ein Reiseverbot für 16 Führungspersonen des Regimes, das Einfrieren von Vermögenswerten. Am 1. März suspendierte die UN-Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit die Mitgliedschaft Libyens im Menschenrechtsrat – ein in der UN-Geschichte erstmaliger Beschluss.

Die UN-Beschlüsse blieben ohne Wirkung bei einem Regime, das offenbar gegen Teile des eigenen Volkes Krieg führte und Stadt für Stadt zurückeroberte. Mitte März standen Gaddafi-Truppen vor Bengasi. Führer des Regimes hatten mit massiver Rache gedroht. Auf Drängen der Vetomächte Großbritannien und Frankreich und unterstützt von der Arabischen Liga befasste sich der Sicherheitsrat ab 14. März auch mit militärischen Maßnahmen. Libanon, das zzt. einzige arabische Land im Sicherheitsrat, beantragte eine Flugverbotszone.

Am 17. März beschloss der Sicherheitsrat überraschenderweise eine verschärfte Resolution (1973). Die Vetomächte China und Russland ließen sie mit ihrer Enthaltung passieren. Der Sicherheitsrat wiederholte seine Verurteilung grober und systematischer Menschenrechtsverletzungen und systematischer Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die „möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen“ und bekräftigt seine „Entschlossenheit, den Schutz der Zivilpersonen und der von der Zivilbevölkerung bewohnten Gebiete sowie den raschen und ungehinderten Durchlass humanitärer Hilfe (…) zu gewährleisten“. Ausgehend von der Feststellung, dass die Situation in Libyen eine „Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt“, verlangte der Sicherheitsrat eine sofortige Waffenruhe, betonte die Notwendigkeit verstärkter Bemühungen zu einer politischen Konfliktlösung, ermächtigte die Mitgliedsstaaten zu allen notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (unter Ausschluss ausländischer Besatzungstruppen), beschloss eine Flugverbotszone und ermächtigt zu allen notwendigen Maßnahmen. Nie zuvor hat der Sicherheitsrat unter Berufung auf die Schutzverantwortung so weitreichende Maßnahmen beschlossen!

(Kurz später am 30. März 2011 verschaffte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1975 der Schutzverantwortung in der Elfenbeinküste Geltung: Er verurteilte die Angriffe auf die Zivilbevölkerung und ermächtigte UNOCI und die sie unterstützenden französischen Truppen, alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz von bedrohten Zivilpersonen einzusetzen. Der eskalierende Bürgerkrieg wurde gestoppt.)

Bemerkenswert war der kurzfristige Sinneswandel in der US-Administration, in der zunächst die Interventionsskeptiker dominierten. Die ZEIT berichtete, dass vier Frauen bei Präsident Obama die militärische Intervention gegen Verteidigungsminister Gates durchgesetzt hätten: Hillary Clinton, Samantha Power (Beraterin aus dem Nationaler Sicherheitsrat), UN-Botschafterin Susan Rice und Anne-Marie Slaughter (bis vor kurzem Leiterin des Planungsstabs im Außenministerium) argumentierten alle im Sinne der Schutzverpflichtung. Alle vier waren geprägt von den Erfahrungen mit unterlassener Schutzverantwortung in den 90er Jahren – in Ruanda, Srebrenica.[11]

Entgegengesetzt bemerkenswert war die Enthaltung der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat. Bei aller berechtigter Skepsis gegenüber einer Militärintervention wich sie der akuten Schutzverantwortung gegenüber der bedrohten Bevölkerung von Bengasi aus. Sie verweigerte sich damit der internationalen Verantwortung im Hier und Jetzt.[12]

Mit der schnellen Intervention von Luftstreitkräften konnte das angekündigte Großmassaker in Bengasi verhindert werden. In den Folgewochen wurde die NATO aber de facto zur Luftwaffe der Rebellen. Dies – und die verdeckte Ausbildungshilfe für die Rebellen – trug wesentlich zum Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes bei. Die extensive Auslegung und Überdehnung des UN-Mandats durch die intervenierenden Staaten, die Zielverschiebung von der Großgefahrenabwehr zum Regime-Change wurde aber von Russland, China, der AU und vielen Staaten des Südens als Missbrauch der Schutzverantwortung bewertet. Somit hatte die Libyen-Intervention zwiespältige Wirkungen: Der kurzfristig erfolgreichen humanitären Schutzwirkung, dem erfreulichen Sturz eines Tyrannen stand gegenüber die mittelfristige Diskreditierung und Beschädigung der Schutzverantwortung in den Augen zentraler internationaler Akteure. Die internationale Vertrauenskrise der Schutzverantwortung zeigte sich schmerzhaft gegenüber der Gewalteskalation in Syrien: Lange verweigerten China und Russland im UN-Sicherheitsrat jede politische Verurteilung des Assad-Regimes.

(5) Schutzverantwortung in der Kontroverse

(a) Missbrauchsrisiko und Kriegslegitimation: Der häufigste Einwand gegen die Schutzverantwortung verweist auf die Missbrauchsgefahr als Türöffner für Militärinterventionen. Dieser Grundverdacht ist wahrlich nicht unbegründet. Zahlreich sind die Fälle in Geschichte und Gegenwart, wo Militärinterventionen und Angriffskriege humanitär und moralisch begründet wurden. Der Irakkrieg ist da noch in frischer Erinnerung. „Zivilisatorische Mission“ war ein Leitmotiv der Kolonialpropaganda des 20. Jahrhunderts, „Schutztruppen“ hießen die deutschen Kolonialtruppen, die in Deutsch-Südwestafrika einen Vernichtungskrieg gegen die einheimischen Herero führten. Bis heute werden die Menschenrechte immer wieder für Machtinteressen instrumentalisiert. Die Missbrauchsgefahr verpflichtet zu ideologiekritischer Wachsamkeit. Sie ändert aber nichts an der Notwendigkeit des Menschenrechtsschutzes – ggfs. bis zum Einsatz rechtsstaatlicher Gewalt zum Schutz vor illegaler Gewalt.[13] 

Fundamentale und pauschale Ablehnung findet die Schutzverantwortung in Stellungnahmen der aus der Friedensbewegung entstandenen Informationsstelle Militarisierung in Tübingen (IMI). Gewarnt wird, die Schutzverantwortung drohe zu einer „sehr ernst zu nehmenden Legitimationsfigur für Kriegseinsätze zu werden, die ihre Durchführbarkeit erheblich erleichtert.“[14] Die IMI-Analysen bringen manche hilfreiche kritische Einblicke. Ihre Überzeugungskraft wird aber dadurch stark beeinträchtigt, dass Sie die reale Herausforderung von Massenverbrechen systematisch ausklammern und Befürwortern der Schutzverantwortung pauschal Kriegswilligkeit unterstellen. Das fleißige Quellenstudium der Autoren kann nicht verbergen, dass sie realen UN-Missionen kaum bis gar nicht begegnet sein können. Anders ist das abwegige – und diffamatorische – Urteil „Peacekeeping ist Krieg“[15] nicht zu erklären.

(b) Nichthandeln/Unzureichendes Handeln als Hauptproblem: Bezogen auf die vier Haupttatbestände der Schutzverantwortung war über die Jahrzehnte nicht der Missbrauch das Problem, sondern das NICHTHANDELN.[16] Und dieses NICHTHANDELN beschränkte sich nicht auf die bekanntesten Fälle Ruanda und Srebreniza.

WEGSEHEN und NICHTHANDELN wurde extensiv praktiziert gegenüber der Terrorherrschaft und Vernichtungspolitik der Nazis. Ein frühes Zeugnis ist der Rücktrittsbrief des „Hohen Kommissars für Flüchtlinge (jüdische und andere) aus Deutschland“, James McDonald, an den Generalsekretär des Völkerbundes vom 27. Dezember 1935: Ausgehend von einer umfassenden Analyse der NS-Maßnahmen gegen „Nichtarier“ und ihrer Vertreibungswirkung warnte er, dass innerhalb der deutschen Grenzen eine noch schrecklichere humanitäre Katastrophe unvermeidlich sei, wenn die gegenwärtigen Tendenzen im Reich nicht gezähmt und rückgängig würden. Der Schutz der Individuen vor rassischer und religiöser Intoleranz sei eine lebenswichtige Voraussetzung von internationalem Frieden und Sicherheit. Es sei die Aufgabe des Völkerbundes, das Problem an der Wurzel zu packen, um eine Katastrophe zu verhindern. Der dramatische Appell blieb unerhört. Sieben Jahr später besuchte Jan Karski, als Kurier der polnischen Untergrundbewegung im Oktober 1942 zweimal das Warschauer Ghetto und dann das Vernichtungslager Belzec. Mit seinem minutiösen Gedächtnis hat er anschließend in London und Washington „den Großen dieser Welt enthüllt, was die Welt nicht wissen wollte“ (Jorge Semprun) – die Vernichtung der Juden. Sein erschütterndes Zeugnis erschien 1944 als „Bericht an die Welt“.[17].

In der Volksrepublik China kostete der „Große Sprung nach vorn“ in den Jahren 1958-1965 ca. 45 Mio. Menschen das Leben. Unter den Roten Khmer wurden 1975-1978 in Kambodscha 1,7 bis 2,2 Mio. Menschen durch Zwangsarbeit und in Todeslagern ermordet, darunter fast die ganze intellektuelle Elite. Ich gehörte in den 70er Jahren zu den „antiimperialistisch“  orientierten „Genossen“, die diese Massenmorde lange nicht wahrhaben wollten und sie leugneten.

Mein Eindruck ist, dass die umstrittenen Militärinterventionen wie Kosovo und Afghanistan unvergleichlich mehr Empörung hervorgerufen haben und im kollektiven Gedächtnis haften geblieben sind als die Fälle möglicher, aber unterlassener internationaler Hilfeleistungen. Dass Akteure in politischer Verantwortung durch Nichthandeln mindestens genauso schuldig werden können wie durch fehlerhaftes Handeln, ist viel zu wenig bewusst.

(c) Mangelnde Glaubwürdigkeit vieler Staaten, ja der Staatengemeinschaft wird zurecht immer wieder angeprangert, wo sie je nach Opportunität und Interessen selektiv mit Menschenrechten und Schutzverantwortung umgehen und doppelte Standards praktizieren. Das widerspricht der Unteilbarkeit der Menschenrechte. (Anders gelagert sind Fälle, wo ein Eingreifen nicht leistbar und nicht aussichtsreich ist, ja die Lage absehbar verschlimmern würde.)  Solche realpolitischen Beschränkungen sind aber kein Grund, Nothilfe auch da zu verweigern, wo sie durch Eigeninteressen befördert und wo sie möglich ist.

Verbreitet ist der Vorbehalt, die Schutzverantwortung sei eine „westliche Norm“, Ausdruck westlicher Bevormundungsversuche. So richtig und notwendig die Respektierung unterschiedlicher Kulturen und Wertvorstellungen ist. So falsch ist diese, vor allem von autoritären Machthabern vorgebrachte Relativierung fundamentaler Menschenrechte. Es gibt keine Gemeinschaft, Gesellschaft, Kultur oder Religion, die Völkermord und andere Massenverbrechen öffentlich und offiziell als akzeptabel werten würde. Die Afrikanische Union ist die einzige Organisation, die über die Achtung der nationalen Souveränität, der friedlichen Konfliktlösung, des Gewaltverbotes hinaus auch die Schutzverantwortung, sogar ein ausdrückliches Interventionsrecht durch Beschluss der Vollversammlung der Staatschefs (Art. 4h) in ihre Gründungsakte aufnahm – schon im Jahr 2000!

(d) Fixierung auf Militärinterventionen, Prävention und nichtmilitärische Maßnahmen im Wahrnehmungsschatten: In der öffentlichen Diskussion wird die Schutzverantwortung und die Säule des React oft reduziert auf die Streitfrage Militärinterventionen. Der geforderte Vorrang der Prävention wird meist übergangen. Die Handlungsoptionen werden auf einen vermeintlichen Dualismus tatenloses Zusehen vs. Handeln = Intervenieren verkürzt. Die Komplexität von Konflikten schrumpft oft auf ein Schwarz-Weiß der Konfliktparteien, von Gut und Böse. Die zentrale Rolle von Propagandakrieg in solchen Konflikten findet zu wenig Beachtung.

Die Macht der Bilder: Wo keine Bilder sind, gibt es auch (fast) keine Nachricht! In der Bildberichterstattung dominieren die Eskalationsphasen von Konflikten mit Gewalt und Kampf. Die Präventions- und Lösungsphasen von Konflikten, ziviler Widerstand und Konfliktbearbeitung bleiben überwiegend im Aufmerksamkeitsschatten.[18] In der taz vom 15. Juni 2012 beschrieb Elias Perabo, Mitbegründer des Projekts „Adopt a Revolution“, wie breit in Syrien nach 15 Monaten Protesten inzwischen der zivile Widerstand ist und dass es sehr wohl Möglichkeiten wirksamer Unterstützung gibt: „Hinsehen statt zusehen“. Laut Kapitel VI der UN-Charta sind Vorbeugemaßnahmen insbesondere präventive Diplomatie, Sondergesandte, Vermittlung, politische und Untersuchungsmissionen. Militärbeobachter, vorbeugende Stationierungen von UN-Blauhelmen (z.B. 1995-1999 in Mazedonien) können ebenfalls zur Gewaltvorbeugung beitragen.

Die militärlastige Wahrnehmung geht oft mit einer gerade in militärfernen Kreisen verbreiteten regelrechten Militärgläubigkeit einher, mit Militär einen Konfliktknoten durchschlagen zu können. Gefördert wird sie auch durch die allgemeine Sichtbarkeit von Militär (und die „Unsichtbarkeit“ von Krisenprävention), schließlich seine schnelle Verfügbarkeit. Wo Militär im Unterschied zu anderen Instrumenten mit breiten Fähigkeiten am schnellsten verfügbar ist, gerät es immer wieder in die Rolle eines Politikersatzes.

Unter dem Titel „Wir wollen euch doch nur retten“ schildert“ Andrea Böhm[19] an den Beispielen „Kony 2012“ (Uganda) und George Clooney (Sudan), wie ein „white savior industrial complex“ (so der nigerianisch-amerikanische Schriftsteller Teju Cole) vor einem Millionenpublikum die Schutzverantwortung vereinfacht und Interventionsdruck aufbaut. Laut Cole gehe es bei solchen Medienkampagnen „nicht um Gerechtigkeit, sondern um einen emotionalen Kick“ und „politische Ersatzhandlung“.

(e) Operationalisierungslücke: Gute Absicht allein reicht nicht!

Das fängt an bei der mittelfristigen und strukturellen Krisenprävention und dem Verzicht auf kontraproduktive Politiken und Aktivitäten („Do no harm“). Gerade ungehemmte Rüstungsexporte wirken immer wieder als regelrechte Brandbeschleuniger. Kleinwaffen sind die Massenvernichtungswaffen heutiger Gewaltkonflikte. Die Kontrolle und Vernichtung von Kleinwaffen und leichten Waffen spielt bei der Gewaltprävention und Stabilisierung eine zentrale Rolle, zusammen mit Programmen der Demilitarisierung, Demobilisierung und Reintegration. Auf der Ebene der operativen Krisenprävention fehlt es an internationalen und integrierten Frühwarn- und Frühaktivierungssystemen zu schwersten Menschenrechtsverbrechen und Völkermord.[20] Im Unterschied zu den Nationalstaaten verfügen die Vereinten Nationen außerhalb ihrer Missionsgebiete über keine „Augen und Ohren“ der Früherkennung. Trotz einiger Fortschritte seit Ende der 90er Jahre ist der Rückstand an Fähigkeiten und Kapazitäten der zivilen Krisenprävention und Unterstützungskräften weiterhin erheblich. Eine neue Studie des „Humanitarian Practise Network“ zum Schutz der lokalen Bevölkerung vor Gewalt und Naturkatastrophen kommt für die internationale humanitäre Hilfe zu sehr kritischen Ergebnissen.[21]

Harvard-Professorin Sarah Sawell und Ex-General Anthony Zinni kritisierten, dass es auf militärischer Seite keine Doktrinen für Operationen zur Beendigung von Massenverbrechen, ja eine „Allergie von Militärs gegenüber Planungen für den Schutz von Zivilisten“ gebe.[22] Dies bestätigt der ehemalige UN-Untergeneralsekretär für Friedenssicherungseinsätze, Alain Le Roy: „Keine Armee der Welt ist dafür ausgebildet, Zivilisten zu schützen“.[23]

(f) „Mass Atrocity Response Operations“ (MARO)- Kriterien für militärische React-Maßnahmen: Neben diplomatischen humanitären und anderen friedlichen Mitteln kann der UN-Sicherheitsrat in Zusammenarbeit mit den zuständigen Regionalorganisationen auch Zwangsmaßnahmen über Sanktionen bis zum Einsatz militärischer Zwangsmaßnahmen beschließen. Diese sind das äußerste Mittel.

Für das Ob militärischer Zwangsmaßnahmen sind Orientierungspunkte die fünf Entscheidungskriterien des ICISS-Berichts, die aber nicht im Gipfeldokument von 2005 übernommenen wurden: „Ernst der Bedrohung“, „Redlichkeit der Motive“, „Anwendung als letztes Mittel“, „Verhältnismäßigkeit der Mittel“, „Angemessenheit der Folgen“.[24] Sehr hilfreich ist in diesem Kontext die Magisterarbeit von Daniel Peters von der Uni Jena: „Die Responsibility to Protect als Maßstab im Umgang mit schwersten Menschenrechtsverbrechen – Eine Operationalisierung und Problematisierung der ICISS-Kriterien für eine militärische Intervention in innerstaatlichen Konflikten“ (August 2011, Erstgutachter Prof. Manuel Fröhlich).

Die differenziertesten Kriterien für Krisen- und Militäreinsätze haben in Deutschland bisher Bündnis 90/Die Grünen mit dem Abschlussbericht ihrer Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission 2008 vorgelegt. Im Kontext der grüninternen RtoP-Debatte habe ich diese Kriterien, die nicht als Checkliste, sondern als Orientierungshilfe zu verstehen sind, weiterentwickelt. An erster Stelle steht dabei „strategische Klarheit und Nüchternheit“ auf Grundlage einer sorgfältigen Konfliktanalyse.[25] Nach aller Erfahrung mit internationalen Friedenseinsätzen betont Winrich Kühne, Gründungsdirektor des Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin und Peacekeeping-Experte, insbesondere eine „Verantwortung zur Wirksamkeit – und kein Chaos anzurichten“.

Das Wie militärischer Operationen zum Schutz bedrohter Bevölkerungsgruppen muss ausgehen von den Besonderheiten solcher Szenarien. Vorstellungen, Militäroperationen gegen Massenverbrechen seien so was wie Geiselbefreiung im großen Stil, zeitlich und räumlich klar begrenzbar, führen in die Irre! Durch Luftwaffeneinsätze können bedrohte Bevölkerungsgruppen nur begrenzt geschützt werden. (Im Kosovo nahm unter den NATO-Luftangriffen 1999 der serbische Vertreibungsterror erst richtig Fahrt auf.) Die Risiken einer Entgrenzung des Einsatzes, von mission creep sind erheblich. Und wo ein Staat nicht nur in seiner Schutzverantwortung versagt, sondern selbst Verursacher und Täter von schwersten Menschenrechtsverbrechen ist, da kann eine Intervention zur Großgefahrenabwehr schnell in Richtung Regime Change eskalieren und danach in einen Stabilisierungseinsatz münden.

Eine enorme Kluft besteht zwischen den Erwartungen, die in eine Militärintervention „zum Schutz“ gesetzt werden, und der realen Nichtvorbereitung von Streitkräften auf einen solchen Auftrag. Vor diesem Hintergrund ist das im Mai 2010 erschienene „Mass Atrocity Response Operations / MARO Military Planning Handbook“, herausgeben vom CARR CENTER for Human Rights an der Harvard Kennedy School und dem US Army Peacekeeping and Stability Operations Institute von besonderer Bedeutung.[26]

Ausgangsthese des Handbuches ist, dass Massenverbrechen und Missionen zu ihrer Verhinderung einzigartige operationelle Herausforderungen mit sich bringen, die der sorgfältigen Vorbereitung und Planung bedürfen. Wesentliche Merkmale eines MARO-Kontextes sind: komplexe Vielparteien-Dynamiken; Illusion von Unparteilichkeit; einzigartige Eskalationsdynamik. Zu den zentralen operationellen und politischen Implikationen gehört die kritische Rolle verschiedener Informationen von Anfang an, frühe Interagency-Planung, Geschwindigkeit vs. Masse, die Macht der Zeugenschaft (high-tech und low-tech), Vorgehen gegen Symptome oder Konfliktursachen, sofortige nichtmilitärische Anforderungen, moralische Dilemmata, politische Führung. Ergänzend zu diplomatischen, wirtschaftlichen und Informationsmaßnahmen sollen Military Flexible Deterrent Options (FDOs) vorbeugend wirken. Bleibt die Krisenbewältigung erfolglos, stellt sich die Frage einer umfassenden MARO-Intervention. Hierbei werden folgende Ansätze unterschieden: Saturation; „Oil Spot“; Separation; Safe Areas; Partner Enabling; Containment; Defeat Perpetrators.

(g) Spannungsverhältnis zwischen kurzfristiger Großgefahrenabwehr und der Bekämpfung der Konfliktursachen (mittel- bis längerfristigen Prävention): Während sich Regierungen oft auf kurzfristiges Agieren konzentrieren und dabei immer wieder bei Symptombehandlung landen, haben entwicklungspolitische und zivilgesellschaftliche Akteure ihren Schwerpunkt oft eher bei der Bearbeitung von Konfliktursachen, wo aber die Wirkzusammenhänge komplex und schwer fassbar sind. In der politischen Auseinandersetzung werden Gefahrenabwehr und Ursachenbekämpfung immer wieder gegeneinander gestellt, obwohl sie zusammen angegangen werden müssen – mit den möglichen Widersprüchen und Dilemmata im konkreten Fall. Realistischerweise ist dabei zu berücksichtigen, dass verschiedene externe Akteure sehr unterschiedliche Wirkungsmöglichkeiten gegenüber akuten Konfliktdynamiken und tieferen Konfliktursachen haben.

(6) Aktuelle Entwicklungen

Im September 2010 startete das Global Centre for the Responsibility to Protect zusammen mit den Regierungen von Ghana und Dänemark eine „Focal Points Initiative„.[27] Ziel der Initiative ist, die RtoP auf Ebene der Nationalstaaten zu institutionalisieren und über ein Focal Points Netzwerk internationale Koordination zu ermöglichen. Am ersten Treffen nahmen offizielle Vertreter von 21 Staaten teil, davon 7 aus Afrika, 4 aus Amerika, 3 aus Asien und 7 aus europa. Am ersten Treffen nationaler Focal Points on RtoP im Mai 2011 nahmen 31 Länder teil, darunter Belgien, Bosnien-Herzegowina, Dänemark, Finnland, Großbritannien, Niederlande, Spanien, Schweden, Tschechische Republik, USA – Deutschland nicht.

Am 9. November 2011 formulierte Brasilien im UN-Sicherheitsrat bei der Debatte über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten eine „Responsibility while protecting: elements for the development and promotion of a concept„. Ausgangspunkt sind Erfahrungen eines Missbrauchs der RtoP zum Regime-Change und der schmerzhaften Folgen von Interventionen, die bestehende Konflikte verschärft, neue Gewaltzyklen erzeugt und die Gefährdung der Zivilbevölkerung gesteigert hätten. Brasilien betont die hohe Verantwortung der Internationalen Gemeinschaft bei der Durchführung der Schutzverantwortung, klare rechtliche, operative und zeitliche Grenzen beim Einsatz militärischer Gewalt und die Beachtung des Do-no-harm-Prinzips.

Am 10. Januar 2012 erschien erstmalig der R2P-Monitor des Global Centre for the Responsibility to Protect in New York. Der künftig alle zwei Monate erscheinende Monitor unterscheidet

–         current crisis, wo Massenverbrechen geschehen und dringend Handeln angesagt ist,

–         imminent risk, wo das hohe Risiko von Massenverbrechen in kürzerer Frist besteht, wenn keine effektiven Maßnahmen ergriffen werden,

–         serious concern, wo ein signifikantes Risiko von Massenverbrechen in absehbarer Zeit besteht, wenn keine effektiven Maßnahmen ergriffen werden.

Sponsor des Monitor ist die Schweiz. Sponsoren des Centres sind Australien, Dänemark, Niederlande, Norwegen, Ruanda, Schweden, United Kingdom.

Am 23. April 2012 verkündete US-Präsident Obama im US Holocaust Memorial Museum ein umfassendesProgramm zur Verhütung von und zur Reaktion auf Massenverbrechen. Nach der Einführung durch Elie Wiesel stellte Obama seine Begegnung mit Buchenwald-Überlebenden an den Anfang und erinnerte an Jan Karski. Was schon vorher zu einem „zentralen nationalen Sicherheitsinteresse und zentraler moralischer Verantwortung“ der USA erklärt worden war, wurde jetzt operationalisiert. Der ressortübergreifender Atrocities Prevention Board setzt sich zusammen aus hochrangigen Vertretern (stellv. Minister) der Ministerien für Äußeres, Verteidigung, Finanzen, Justiz, Homeland Security, des Generalstabs, von USAID, der US-Mission bei den UN, der Geheimdienste, des Vizepräsidenten. Geleitet wird der APB durch den/die Senior Director für multilaterale Angelegenheiten und Menschenrechte im Nationalen Sicherheitsrat, zzt. Samantha Power. Detailliert und umfassend ist der Katalog an Aufgaben und neuen Instrumenten: die Aufgaben der Nachrichtendienste, der Diplomatie im internationalen Kontext, ein verbessertes UN Peacekeeper Training, Stärkung der Kapazitäten von UN und Regionalorganisationen, neue Arten gezielter Sanktionen, Doktrin etc. für Mass Atrocity Response Operations und entsprechende Übungen u.v.m. Bemerkenswert ist die Einrichtung von „alert channels„, über die abweichende Einschätzungen und relevante, nicht gemeldete Informationen ohne Karriererisiken direkt an den APB gelangen können. Angesichts der in hierarchischen Organisationen oft von unten nach oben zunehmenden Beschönigung und Realitätsentfernung scheint diese Maßnahme besonders wichtig.[28]

(7) Deutsche „Kultur der Zurückhaltung“: Aus Erfahrung klüger oder Flucht vor der Verantwortung?

In der deutschen Außen-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik, in Öffentlichkeit und Gesellschaft hat die internationale Schutzverantwortung einen deutlich geringeren Stellenwert als z.B. in den USA.

Auffällig ist, dass der Erinnerungsdiskurs zum Nationalsozialismus und der Diskurs zur Schutzverantwortung hierzulande weitgehend auseinanderfallen. Das „Nie wieder!“ in Erinnerungspolitik und Erinnerungsarbeit zielt in erster Linie gegen Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, Ausgrenzung, weniger/kaum auf die Verhinderung von Massenverbrechen und Völkermord heutzutage.

Dass Joschka Fischer 1999 den kategorischen Imperativ „nie wieder Auschwitz“ auf den Kosovo „anwandte“, wurde von vielen als Instrumentalisierung, ja Relativierung des Holocaust aufgefasst. (Er hat den Bezug deshalb kurz später zurückgezogen.) Die Absage an eine Instrumentalisierung des Holocaust kann aber umgekehrt nicht heißen, auf fundamentale Schlussfolgerungen zu verzichten. Und dazu gehört zentral die Verhütung und Bekämpfung von Völkermord. Nicht von ungefähr beschloss 1948 die UN-Generalversammlung die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords.

Ein zivilisatorischer Fortschritt ist die in der deutschen Gesellschaft und Politik verbreitete Zurückhaltung und Skepsis gegenüber dem Einsatz militärischer Gewalt. Doch diese Zurückhaltung geht noch weiter: Seit Jahren plädiert bei der Bevölkerungsumfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SOWI) eine knappe Mehrheit dafür, dass deutsche Politik in Distanz zu Krisen in der Welt bleiben und lieber die eigenen Probleme lösen möge. Auffällig wenig bewusst ist bis heute, dass Deutschland mit der Mitgliedschaft in der UN auch die grundsätzliche Pflicht eingegangen ist, zu internationaler Friedenssicherung beizutragen, ggfs. auch militärisch.

Wo das Wissen um präventive Friedens- und Sicherheitspolitik gering ist und die Schutzverantwortung meist auf die militärische Option verkürzt wird, ist sie damit für viele regelrecht kontaminiert. Das umso mehr, als sowohl beim Kosovo- wie beim Afghanistaneinsatz humanitäre und menschenrechtliche Motive und Rechtfertigungen der Startphase im Laufe der Zeit eine massive Ernüchterung erfuhren.

(8) Schlussfolgerungen

(a) Die internationale Schutzverantwortung muss auf die vier Massenverbrechen beschränkt bleiben. Sie soll und darf nicht zu einer Unterhöhlung des internationalen Gewaltverbotes und der Staatensouveränität führen. Als umfassender Ansatz soll sie diese ergänzen – und legitime Staatlichkeit wie menschliche Sicherheit fördern. Die internationale Schutzverantwortung ist ein Eckstein einer menschenrechtsorientierten und völkerrechtskonformen globalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Sie ist eine zentrale Konsequenz aus dem viel beschworenen „Nie wieder!“ und steht im Kontrast zu Trends einer Fragmentierung und Renationalisierung von Sicherheitspolitik.

(b) Als Ursprungsland eines historisch beispiellosen Völkermords und Vernichtungskrieges ist Deutschland besonders in der Pflicht, die Schutzverantwortung zu stärken und bestmöglich zu unterstützen – durch nationale Beiträge, im Kontext von EU, OSZE, UN und NATO. Die Mitarbeit in der „Freundesgruppe RtoP“ in der UN ist lobenswert, aber keineswegs ausreichend. Es reicht nicht, im Multilateralismus seine Beiträge zu leisten. Bisher gibt es auf Seiten der Bundesregierung keinen Frühwarnmechanismus zu schwersten Menschenrechtsverbrechen. Die seit 2002 erstellten, vertraulichen Krisenfrüherkennungsanalysen münden nicht in politische Krisenprävention und Genozidverhütung.

Verankert werden muss die Schutzverantwortung in zentralen Grundsatzdokumenten der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie in einer künftigen deutschen Friedens- und Sicherheitsstrategie.[29] Schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhüten und zu stoppen muss ein zentrales Interesse und eine zentrale moralische Verantwortung auch der Bundesrepublik Deutschland sein. Die Schutzverantwortung muss so operationalisiert werden, dass ein Land wie Deutschland dabei auch Führungsstärke beweisen kann.

(c) Humanitäre und Menschenrechtsorganisationen spielen eine Schlüsselrolle für eine glaubwürdige und wirksame Umsetzung der Schutzverantwortung, angefangen bei der Frühwarnung.[30] Aussichtsreiche Krisenbewältigung allgemein und Schutzverantwortung speziell ist angewiesen auf den Verbund von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, von internen Friedenskräften und externen Unterstützern, auf ein bestmögliches Zusammenwirken von politischen, zivilen, militärischen und polizeilichen Akteuren. In Deutschland sind die bisherigen Strukturen von Ressortkreis und Beirat Zivile Krisenprävention und Ad-hoc-Task Forces in der Bundesregierung hierzu erste, aber keineswegs ausreichende Schritte.

(d) Neben humanitären Organisationen sind UN-geführte Peacekeeping-Missionen oft die vorderste Linie praktizierter Schutzverantwortung in Konfliktregionen, wo die die jeweiligen Staatsorgane den Schutz der Zivilbevölkerung nicht gewährleisten können bzw. wollen. Deutschland sollte diese UN-Missionen über die Finanzbeiträge auch stärker personell unterstützen.[31] Dabei kommt der Polizeikomponente eine immer größere Bedeutung zu. (Zzt. 14.400 Polizisten in 15 Missionen, in den letzten fünf Jahren Zunahme um 80%, der militärischen Anteile um 13%.)

(e) Zentral für die Verhütung von schwersten Massenverbrechen sind die Förderung von Rule of Law, Sicherheitssektorreform und allgemein die Förderung legitimer Staatlichkeit. Diese Schwerpunktaufgaben internationaler Sicherheitspolitik brauchen aber viele Jahre, zum Teil Jahrzehnte, um wirksam zu werden. Bundesdeutsche Politik leistet hierzu über die Beteiligung an Internationalen Polizeimissionen, über die GIZ und mit vom ZIF trainierten Experten qualitativ hochwertige Beiträge. Konzeptionell und im Hinblick auf genügend schnell verfügbare Kräfte hat die Bundesrepublik hier aber noch erheblichen Verstärkungsbedarf. Ein großes Versäumnis ist, dass dieser Reformbedarf nicht parallel zur gegenwärtigen Bundeswehrreform angegangen wurde.

(f) Praktizierte Schutzverantwortung gibt es nicht zum Nulltarif, sie geht einher mit finanziellen Kosten, ggfs. auch menschlichen Opfern, sie braucht öffentliche Akzeptanz. Diese ist nur mit einer kontinuierlichen friedens-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Bildungsarbeit und glaubwürdiger öffentlicher Kommunikation zu erreichen.

_______________________________________________________________________________

(1) Anstoß für den Beitrag war meine Teilnahme an der Podiumsdiskussion „Internationale Soforthilfe – eine Gratwanderung“ beim 1. Münsterschen Kongress für Humanitäre Hilfe, veranstaltet vom Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe der FH Münster (Prof. Dr. Joachim Gardemann) in Zusammenarbeit mit der Stadt Münster am 20. Mai 2011 im Rathaus von Münster. Referenten des Kongresses waren u.a. Generalleutnant a.D. Romeo Dallaire und Prof. F. Chalk, Montreal Institute for Genocide and Human Rights Studies. Zur Schutzverantwortung insgesamt: www.dgvn.de/rtop_1.html und www.schutzverantwortung.de

(2) Winfried Nachtwei, Kosovo-Krieg vor zwei Jahren: Begann alles mit einer Lüge? Zum Streit um die Informationspolitik der Bundesregierung, 12.03.2001, http://www.nachtwei.de/index.php/articles/277

(3) Romeo Dallaire, Handschlag mit dem Teufel – Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda, Springe 2008

(4) Vereinte Nationen, Generalversammlung, Umsetzung der Schutzverantwortung – Bericht des Generalsekretärs, A/63/677 12.01.2009, http://www.un.org/depts/german/gv-sonst/a63-677.pdf (letzter Zugriff: 5.4.2012)

(5) Hier wie bei anderen UN-Missionen in Afrika werden primär Einsatzkräfte aus der jeweiligen Großregion benötigt und nicht Kontingente aus dem reichen Ländern des Nordens. Deren Unterstützung wird vor allem bei Mangelfähigkeiten (z.B. Aufklärung, Führung, Lufttransport) gebraucht.

(6) Winfried Nachtwei, Kongo im 2. Jahr nach der Wahl: Wenige Fortschritte, viel Stagnation, Hölle auf Erden, Reisebericht Mai 2008, http://www.nachtwei.de/index.php/articles/news/702 . Aus der Zusammenfassung:  Die „humanitäre Lage im Ostkongo und insbesondere der sexuelle Terrorismus schreien gen Himmel. (…) Es ist ein Gebot der Responsibility to Protect wie des europäischen Interesses an einem friedlichen Nachbarkontinent Afrika, dass die Staaten endlich einmütig, energisch und praktisch den Gewaltakteuren und -strukturen im Ostkongo und der Region entgegentreten.“

(7) Herausgeber der Studie sind The American Academy of Diplomacy, United States Holocaust Memorial Museum, United States Institute of Peace, http://www.usip.org/genocide_taskforce/index.html

(8) http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblub/3844230/publicationFile/4345/Aktionsplan-De.pdf Als erste der im Bundestag vertretenen Parteien bekannten sich Bündnis 90/Die Grünen zur Schutzverantwortung. Der am 16.11.2008 vom Bundesparteitag in Erfurt gebilligte Abschlussbericht der Friedens- und sicherheitspolitischen Kommission widmete der Schutzverantwortung als „ganzheitlichem Ansatz“, der Zivilen Konfliktbearbeitung und Prinzipien für Krisenengagement und Auslandseinsätze drei Kapitel. Berlin 2008, S. 15-21, S. 51-55.

http://www.gruene-partei.de/cms/files/dokbin/247/247629.frisikoabschlussbericht.pdf Die Partei DIE LINKE repräsentiert mit ihrer kategorischen Ablehnung der Schutzverantwortung den Gegenpol in der deutschen Parteienlandschaft. Eine aktuelle Übersicht über die Haltung der Bundesregierung und aller Bundestagsparteien zur Schutzverantwortung unter http://www.schutzverantwortung.de (letzter Zugriff: 5.4.2012)

(9) Unterrichtung durch die Bundesregierung, Dritter Bericht der  Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention (…)„, Bundestagsdrucksache 17/2300, 25. Juni 2010

(10) Policy Paper 28, Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) Bonn Dezember 2007. Die Völkerrechtlerin von Schorlemer war Inhaberin des weltweit ersten UNESCO-Lehrstuhls für Internationale Beziehungen an der TU Dresden und ist als Parteilose seit 2009 sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst.

(11) Martin Klingst, Frauen für den Krieg, 25. März 2011. H. Clinton und A.-M. Slaughter hatten allerdings auch den Irakkrieg befürwortet.

(12) Vgl. Winfried Nachtwei, Militärintervention in Libyen – Notwendigkeit, Legitimität, Risiken, ZIF Policy Briefing Mai 2011, http://www.zif-berlin.org/de/analyse/veroeffentlichungen.html

(13) Zum Spannungsverhältnis von Gewaltfreiheit und Menschenrechtsschutz und den veränderten Anforderungen an Gewaltfreiheit für Träger staatlicher Verantwortung im Kontext der Kriege und Erfahrungsprozesse der 90er Jahre Winfried Nachtwei, Pazifismus zwischen Ideal und politischer Realität, in: Barbara Bleisch, Jean-Daniel Strub (Hrsg.), Pazifismus. Ideengeschichte, Theorie und Praxis, Bern/Stuttgart/Wien 2006, S. 303-317,http://www.nachtwei.de/downloads/beitraege/Winfried_Nachtwei_Pazifismus.pdf

(14) Michael Haid, Die „Responsibility to Protect“ – Kriegslegitimation unter Missbrauch der Menschenrechte?IMI-Analyse 032/2011, www.imi-online.de/download/08aug2011_haid.pdf

(15) Thomas Mickan, Die UN und der neue Militarismus – Von Krieg und UN-Frieden: Peacekeeping, Regionalisierung und die Rüstungsindustrie, IMI Oktober 2011

(16) Das (NICHT)HANDELN bezieht sich auf das ganze Spektrum politischer Maßnahmen – bis zu Zwangsmaßnahmen im äußersten Fall. Falsch und gefährlich ist das verbreitete Denkmuster, wo Handeln gleichgesetzt wird mit Intervenieren und alles andere als Nichthandeln abqualifiziert wird.

(17) Jan Karski, Mein Bericht an die Welt – Geschichte eines Staates im Untergrund, Erstveröffentlichung 1944, Neuausgabe München 2011. Bei meinen 1989 beginnenden Forschungen zu den Judendeportationen nach Riga und zum „Reichsjudenghetto“ Riga 1941-1944 erfuhr ich, dass der Massenmord an fast 30.000 Rigenser jüdischen Frauen, Männern und Kindern am 30. November („Rigaer Blutsonntag“) und 8. Dezember 1941 schon am nächsten Tag vom sowjetischen und britischen Rundfunk gemeldet worden waren.

(18) Michaela Maier, Georg Ruhrmann  u.a., Bedrohung auf der (Medien-)Agenda – Krisenkommunikation im Nachrichtenprozess, Forschung Deutsche Stiftung Friedensforschung, Osnabrück 2012

(19) „- Wie Hollywood-Prominente humanitäre Interventionen erzwingen wollen – und was sie dabei übersehen“, ZEIT 20.4.2012

(20) Die Anweisung von US-Präsident Obama vom August 2011 zur Einrichtung eines „Atrocities Prevention Board“ benennt deutlich diese und die folgenden Defizite. Näheres darüber unter http://www.genocide-alert.de

(21) Ashley South, Simon Harragin u.a., Local to Global Protection in Myanmar, Sudan, South Sudan and Zimbabwe, HPN Network Paper 72, Februar 2012, www.odihpn.org/hpn-resources/hpn-network-papers/local-to-global-protection WELTSICHTEN (Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit) 3/2012 schreibt von einer „schallenden Ohrfeige für die internationale Gemeinschaft„. Local to Global Protection betont die lokalen Perspektiven des Schutzes bei humanitären Krisen.

(22) Washington Post 21. April 2011. Sarah Sawell war hohe Pentagon-Beamtin in der Clinton-Administration. Sie verfasste eine Einführung zum Counterinsurgency Field Manual No. 3-24 der US Army von 2006 und gründete das „Mass Atrocity Response Operations (MARO) Project“ der Harvard Kennedy School/Carr Center for Human Rights Policy und dem Peacekeeping and Stability Operations Institute der US Army. Mai 2010MARO Military Planning Handbook.http://www.hks.harvard.edu/cchrp/maro/pdf/MARO_2_page_overview.pdf Anthony Zinni war vormals u.a. Kommandeur des US Central Command.

(23) Interview mit Alain Le Roy in: VEREINTE NATIONEN, hrsg. von der DGVN, 6/2011, S. 250-256

(24) Vgl. Andrea Böhm, Retter ohne Regeln – Irak, Afghanistan, Libyen, Uganda: Die Einmischung in fremde Konflikte wird zur Gewohnheit. Mitleid allein reicht nicht aus. Erforderlich sind klare Kriterien, DIE ZEIT 22. März 2012

(25) Weitere Kriterien sind: Ziele und Interessen offen legen, Primat der Zivilen Krisenprävention und „äußerstes Mittel“, völkerrechtliche Legitimität und UN-Mandat, Primat der Politik/Wirksamkeitsorientierung und ausgewogene Fähigkeiten, verantwortlicher Multilateralismus, Leistbarkeit und Verantwortbarkeit, Parlamentsbeteiligung und gesellschaftliche Akzeptanz.

(26) http://www.hks.harvard.edu/cchrp/maro/pdf/MARO_2_page_overview.pdf

(27) www.globalr2p.org

(28) Sarah Brockmeier hat für www.schutzverantwortung.de das Factsheet des Weißen Hauses „A Comprehensive Strategy and New Tools to Prevent and Respond to Atrocities“ vom 23.4.2012 übersetzt und ergänzt. Die Obama-Rede unter www.youtube.com/watch?v=_TGJxYp76w&feature=player_embedded

(29) Jüngste Initiativen im Bundestag gehen von der SPD und den Bündnisgrünen aus: Antrag der SPD „Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln„, Bundestagsdrucksache 17/8808 vom 29.2.2012; sehr umfassender und detaillierter Antrag von Tom Koenigs, Kerstin Müller und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen „Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen„, Bundestagsdrucksache 17/9584 vom 9.5.2012. Der differenzierte Forderungskatalog dieses Antrags behandelt die Stärkung der Prävention, die Fragen der Vermeidung von Blockaden im Sicherheitsrat und der Verhinderung einer Mandatsüberdehnung, die operative Umsetzung der Schutzverantwortung auf Ebene der UN, der europäischen und deutschen Ebene.

(30) Die International Coalition for the Responsibility to Protect wurde am 28. Januar 2009 von acht regionalen und internationalen NGO`s gegründet. Inzwischen hat ICRtoP 41 Mitgliedsorganisationen, darunter Global Action to Prevent War, Human Rights Watch, International Crisis Group, Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre/Ghana, Oxfam International und die UN-Gesellschaften von DRC, Dänemark, Spanien, Schweden. Aus Deutschland ist einziges Mitglied bisher Genocide Alert/Köln.www.responsibilitytoprotect.org Vgl. die neue, von engagierten Studierenden betriebene Seitewww.schutzverantwortung.de ; sehr aktuell zur UN-Friedenssicherung die DGVN-Seite www.frieden-sichern.de

(31) Ekkehard Griep/Winfried Nachtwei, Für eine politische Aufwertung der VN-Friedenssicherung in Deutschland – Ungenutzte Chancen im VN-Peacekeeping nutzen, DGVN Policy Paper 1/2011,http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/PUBLIKATIONEN/Policy_Paper/DGVN-Policy-Paper1_2011.pdf


» Dieser Beitrag ist am 15. Juni 2012 bereits auf der Homepage von von Winfried Nachtwei veröffentlicht worden