Begräbnis von 465 identifizierten Massakeropfern (Srebrenica 2007) Quelle: I, Pyramid / wikipedia.org

Factsheet: Das Atrocities Prevention Board und die amerikanische Strategie zur Prävention von Massenverbrechen – Vorbild für Deutschland?

Factsheet: Das Atrocities Prevention Board und die amerikanische Strategie zur Prävention von Massenverbrechen – Vorbild für Deutschland?

von Sarah Brockmeier, 15. Mai 2012

Am 23. April 2012 verkündete der amerikanische Präsident in einer Ansprache im US Holocaust Memorial Museum in Washington den Aufbau eines ‚Atrocities Prevention Boards‘ in den USA – eine Koordinierungseinheit, die ressortübergreifend zu einer effektiveren Prävention von und Reaktion auf (potentielle) Massenverbrechen führen soll. Zudem erklärte er, dass er die Ergebnisse einer Studie zu den gegenwärtigen Kapazitäten der Regierung in diesem Bereich angenommen und seine Regierung zur Umsetzung einer umfassenden Strategie zur Prävention von Massenverbrechen angewiesen hat. Das vorliegende Factsheet erklärt Aufgaben und Zusammensetzung des Atrocities Prevention Board und die wichtigsten Eckpunkte der umfassenden amerikanischen Strategie.[1]

Das Atrocities Prevention Board (APB)

Hintergrund zum Atrocities Prevention Board
  • Am 4. August 2011 gab Präsident Barack Obama mit einer sogenannte „Presidential Study Directive (PSD)“ – die Anweisung, innerhalb der nächsten 120 Tage ein ressortübergreifendes Atrocities Prevention Board zu schaffen.
  • In dieser Anweisung wird die Verhinderung von Massenverbrechen und Genozid als wichtiges nationales Sicherheitsinteresse und als eine bedeutende moralische Verantwortung der Vereinigten Staaten definiert.
  • Gleichzeitig wurde eine Studie veranlasst, die die gegenwärtigen Kapazitäten der Regierungsorganisationen zur Verhinderung von Massenverbrechen auflistet und eventuelle Lücken aufzeigt.
  • Die Anweisung des Präsidenten folgte einer Empfehlung der Genocide Prevention Task Force – eine Expertengruppe, die vom Holocaust Memorial Museum in Washington, dem US Institute for Peace und der American Academy of Diplomacy ins Leben gerufen wurde. Die frühere Außenministerin der USA, Madeleine Albright und der frühere Verteidigungsminister William S. Cohen leiteten die Task Force.
  • Als einer der wichtigsten Gründe für die Erschaffung des APB wurde von Seiten der Obama Regierung genannt, dass zu oft die Situation entstehe, in der der  Präsident und die Regierung vor der extremen Entscheidung stünden, entweder militärisch in einer Situation einzugreifen oder einem Massenverbrechen zu zuschauen. Das Board soll dafür sorgen, dass die US-Regierung schon früher auf solche Situationen reagieren und ein breites Spektrum an Maßnahmen ergreifen kann.
Was sind die Ziele des Atrocities Prevention Boards?

Das Hauptziel des APB ist es, einen koordinierten Ansatz für die Verhinderung von Massenverbrechen und Genozid zu schaffen, welcher die gesamte amerikanische Administration mit einbezieht. Durch die Institutionalisierung dieser Koordination  soll erreicht werden, dass…

  • …der gesamte Sicherheitsapparat der USA rechtzeitig Anzeichen von Massenverbrechen erkennt und auf diese reagiert.
  • …alle Abteilungen und Ressorts eine Strategie zur Verhinderung und Reaktion auf Massenverbrechen entwickeln, die es ermöglicht, dass alle Stimmen innerhalb der Administration vernommen und auch eventuell abweichende Meinungen von den wichtigsten Entscheidungsträgern gehört werden.
  • …die Kapazitäten des Auswärtigen Dienstes, des Militärs, der Entwicklungszusammenarbeit und anderen relevanten Akteuren erhöht werden, das gesamte Spektrum von Maßnahmen zur frühzeitigen Prävention von Massenverbrechen zu nutzen.
  • …die USA in die Lage versetzt werden, mit ihren Verbündeten und Partnern zusammen an der Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen zu arbeiten.
Zusammensetzung und Vorgehensweise des Atrocities Prevention Boards (APB)
  • Das APB wird hochkarätig besetzt mit Vertretern aus dem Außen-, Verteidigungs-, Justiz,- und Finanzministerium sowie Vertretern der Entwicklungsbehörde USAID, dem Ministerium für Heimatschutz (Homeland Security), des Direktors für Nationale Nachrichtendienste, des CIAs, des Büro des Vizepräsidenten, der Vertretung der USA bei den Vereinten Nationen und einem Vertreter der  Vereinigten Stabschefs (Joint Staff). Alle diese Personen sind auf der Assistant Secretary Ebene (stellvertretenden Ministerebene) angesiedelt und werden von der jeweiligen Leitung der Ministerien ernannt.
  • Das APB wird sich auf Arbeitsebene monatlich treffen, um die Entwicklung und Implementierung der Präventionsstrategie zu beaufsichtigen. In Krisensituationen werden zusätzliche Treffen abgehalten.
  • Die hochrangigen Vertreter des APB werden sich mindestens zweimal im Jahr treffen; einmal im Jahr auf Ministerebene. Die Vorsitzende des Boards wird jährlich in einem Memorandum an den Präsidenten über die Arbeit des Boards berichten.
  • Die Einheit wird von dem Direktor/der Direktorin für multilaterale Angelegenheiten und Menschenrechte im Nationaler Sicherheitsrat geleitet. Diese Position bekleidet derzeit Samantha Power.
  • Nach sechs Monaten wird die Vorsitzende in Zusammenarbeit mit dem Board einen Entwurf für eine Executive Order (Verfügung) des Präsidenten vorbereiten, in der Vorschläge zur weiteren Arbeit des APB, dessen Funktionen, Prioritäten und Ziele sowie weitere Maßnahmen zur Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen erörtern werden.

Die wichtigsten weiteren Bestandteile der neuen amerikanischen Strategie

Die bessere Nutzung der Nachrichtendienste
  • Die Nachrichtendienste werden Informationen sammeln und analysieren, die die gesamte Regierung in die Lage versetzt, potentielle Massenverbrechen früher  zu antizipieren, Krisensituationen zu verstehen und besser auf solche zu reagieren.
  • Das APB wird unter anderem mit dem Director of National Intelligence zusammenarbeiten, um Informationen zu potentiellen Risiken von Massenverbrechen in den jährlichen Bericht des Direktors vor dem amerikanischen Kongress zu aktuellen Bedrohungen mit einzuschließen. Alle Nachrichtendienste in den USA werden intern und mit den Partnern der USA das Zusammenführen, Sammeln, und Teilen von Indikatoren von Massenverbrechen intensivieren.
Ein stärkerer diplomatischer Einsatz für die Prävention von Massenverbrechen
  • Amerikanische Diplomaten werden für eine energische, multilaterale Strategie zur Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen werben und sich für stärkere internationale Bemühungen zum Aufbau von Kapazitäten zur Prävention von Massenverbrechen einsetzen.
  • Die USA werden sich dafür einsetzten, dass Lehrpläne für Schulungen von  Friedensicherungstruppen der UN aktualisiert werden um spezielles Training zum Schutz von Zivilisten mit einzuschließen.
  • Die Vereinten Nationen sollen im Bereich Konfliktprävention und Krisenmanagement unterstützt werden, insbesondere im Bereich der präventiven Diplomatie, und der Mediation.
  • Die Kapazität von regionalen Organisationen zur Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen soll gestärkt werden.
Sanktionen und Einreiseverbote
  • Barack Obama unterzeichnete im April 2012 eine Executive Order, die es erlaubt Sanktionen und Visumssperren gegen Firmen zu verhängen, die im Iran und Syrien durch Informationstechnologie schwere Menschenrechtsverletzungen verüben oder ermöglichen. Durch diese Sanktionen können solche Unternehmen, die repressiven Regierungen mit ihrer Technologie die Überwachung  und Verfolgung  von Bürgern für gezielte Attacken ermöglichen, direkt sanktioniert werden.
  • Im Bezug auf die Visumspolitik, hat der amerikanische Präsident in einer Anweisung im letzten August eine Visumssperre für schwere Menschenrechtsverletzer erlassen.
Schulung für zivile und militärische Einsatzkräfte
  • Das amerikanische Verteidigungsministerium wird militärische Doktrinen und Richtlinien speziell für die Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen entwickeln. Die Vereinigten Stabschefs haben bereits einen Anhang an den Bericht „Joint Publication on Peace Operations“ angefügt, der zukünftig sicherstellen soll, dass militärische Kräfte über Wissen und Ausbildung in diesem Bereich verfügen.
  • Das Verteidigungsministerium wird zudem routinemäßig Übungen mit Bezug auf die Verhinderung von Massenverbrechen  organisieren, um operative Konzepte zu testen, mit denen auch äußerst schnell in Krisensituationen reagiert werden kann.
  • Professoren der amerikanischen militärischen Akademien treffen sich Ende Mai 2012 im US Holocaust Memorial Museum, um die Einarbeitung von der Verhinderung von Massenverbrechen in die dortigen Lehrpläne aufzunehmen.
  • Alle Ministerien und Regierungseinheiten, die eine Rolle in der Prävention von Massenverbrechen spielen, wurden aufgefordert, Lehrpläne und Schulungsprogramme zu entwickeln, um zivile und militärische Kräfte in der Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen zu  schulen. Diese Ministerien wurden zudem aufgefordert, entsprechende Leistungsanreize für Beiträge zur Prävention zu entwerfen.
Mehr Einsatz gegen die Straflosigkeit 
  • Die Ministerien für Außen, Justiz und Inneres werden Vorschläge erarbeiten, um die Fähigkeit der Vereinigten Staaten zu verbessern, Täter von Massenverbrechen in den USA vor Gericht zu stellen.
  •  Die USA planen die stärkere Unterstützung von nationalen, hybriden und internationalen Mechanismen (unter anderem im Rahmen von Untersuchungsausschüssen, „fact finding“ Missionen (Erkundungsmissionen) und Gerichten).[2]
  • Die Ministerien für Justiz und  Heimschutz werden Optionen entwickeln, wie eine bessere Unterstützung von Zeugenschutz und mehr technische Hilfe für ausländische und internationale Strafverfolgung geleistet werden kann.
Weitere innovative Maßnahmen:
  • Das Außenministerium und USAID planen ihre Fähigkeit zu erhöhen, schnell und auf ad-hoc Basis eine entscheidende Menge an zivilen Kräften, die über Expertise im Schutz von Zivilisten  verfügen, in Krisensituationen schicken zu können.
  • Alle US Ministerien und Regierungseinheiten werden zukünftig lessons learned Studien bezüglich ihrer Arbeit zur Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen verfassen.
  • USAID wird zusammen mit der NGO „Humanity United“ einen Wettbewerb für innovative Technologien ausschreiben, die für die Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen genutzt werden können.
  • Das Finanzministerium wird sich so positionieren, dass es zukünftig schneller die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nutzen kann, um Geldflüsse an repressive Regime zu stoppen.
  • Alle Ministerien und Regierungseinheiten werden in Zukunft verpflichtet sein, alternative Kanäle für Beschwerden während konkreter Fälle von (potentiellen) Massenverbrechen zu erschaffen, die es individuellen Mitarbeitern erlaubt, nicht gemeldete Informationen zu Massenverbrechen dem APB mitzuteilen. Dies soll auch Informationen beinhaltet, die von Vorgesetzten explizit vorenthalten wurden ohne den Karrierechancen des jeweiligen Mitarbeiters zu schaden. Ähnliche Prozeduren soll es im Arbeitsbereich des National Security Council Staff (der Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats) geben, so dass sichergestellt ist, dass Informationen zu drohenden und stattfindenden Massenverbrechen den Präsidenten erreichen.

Was hat die amerikanische Strategie mit Deutschland zu tun?

  • Die ressortübergreifende Koordinierung von Strategien und Maßnahmen zur Verhinderung von Massenverbrechen ist eine Aufgabe, die nicht nur in den Vereinigten Staaten sinnvoll und wichtig ist.
  • Deutschland hat zurzeit keinen solchen Mechanismus zur Koordinierung der verschiedenen Ministerien, dem Kanzleramt und dem Bundestag.
  • Auch die angemessene Schulung von Diplomaten, Militär und Entwicklungshelfern darin, Anzeichen von Massenverbrechen früh zu erkennen und effektiv auf diese zu reagieren, ist für Deutschland erforderlich.
  • Es ist zurzeit unklar, welche Kapazitäten Deutschland in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik besitzt, um Massenverbrechen rechtzeitig zu erkennen und gemeinsam mit den europäischen Partnern rechtzeitig und effektiv darauf zu reagieren. Eine Studie zu den gegenwärtigen deutschen Kapazitäten wäre sinnvoll. Diese sollte breit angelegt sein und Bereiche wie die Sanktions- und Visumspolitik umfassen.
Quellen und Links:

[1] Dieses Papier basiert auf einer Übersetzung und Zusammenfassung des Factsheets der amerikanischen Regierung zur neuen amerikanischen Strategie sowie einer früheren Version eines Factsheets von Genocide Alert zu Idee und Stand des Atrocities Prevention Boards im Januar 2012. 

[2] Die Administration betont, dass dies im Rahmen des nationalen Interesse der USA geschieht. Dies bedeutet also etwa nicht, dass die USA in Kürze  das Rom-Statut des  Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) unterzeichnen, dieses aber u.U. stärker in bestimmten Fällen unterstützen.

Stand: 15.05.2012

von Sarah Brockmeier