Die USA und R2P: Warum ein neuer Bericht aus den USA auch für die deutsche Debatte zur Schutzverantwortung relevant ist

von Sarah Brockmeier

Am 23. Juli veröffentlichten die Brookings Institution, das US Institute for Peace und das US Holocaust Memorial Museum den Bericht einer hochrangigen Arbeitsgruppe zur Schutzverantwortung (Responsibility to Protect). Der Bericht mit dem Titel „The United States and R2P: From Words to Action” wird fünf Jahre nach dem einflussreichen Bericht der Genocide Prevention Task Force[1] veröffentlicht und hat das explizite Ziel eine breitere amerikanische Öffentlichkeit mit dem Konzept der Schutzverantwortung vertraut zu machen. Wie bereits bei der Vorbereitung des Berichts der Genocide Prevention Task Force leiteten zwei hochrangigen ehemalige Regierungsbeamten die Arbeitsgruppe: die ehemalige Außenministerin unter Clinton, Madeleine Albright, und der frühere Sondergesandten für den Sudan unter George W. Bush, Richard Williamson. Unter den über 30 Teilnehmern der Arbeitsgruppe aus Politik, Wissenschaft, Think Tanks, NGOs und Medien befanden sich viele bekannte Namen – von dem ehemaligen kanadischen Außenminister und Miterfinder von RtoP, Lloyd Axworthy, bis zur ehemaligen Planungsstabsleiterin im US-Außenministerium, Anne-Marie Slaugther. 

Der Bericht zeichnet die Entstehungsgeschichte von RtoP kurz nach und stellt jeweils auf nicht mehr als einer halben Seite dar, wie das Konzept in verschiedenen Krisensituationen umgesetzt wurde. Für Kenner der Materie bleibt dieser Teil sehr oberflächlich – diese sind aber auch nicht die Zielgruppe des Berichtes. Die allgemeine Schlussfolgerung der Arbeitsgruppe ist auch wenig überraschend: RtoP sei  „weder ein Allheilmittel, noch ein leeres Versprechen“. Die US-Regierung solle sich viel klarer als bisher geschehen hinter das Konzept stellen, im internationalen Kontext eine klare Vision zu den drei Säulen der Schutzverantwortung formulieren und „sich nicht scheuen“ das Konzept öffentlich beim Namen zu nennen. Interessant ist die sehr klare Unterstützung der Arbeitsgruppe für die brasilianische Initiative zur „Responsibility While Protecting“ (RwP) und den verstärkten Dialog zwischen den USA und anderen aufstrebenden Mächten zur Umsetzung von RtoP.

Der Bericht ist aber aus zwei Gründen für die deutsche und europäische Debatte zur RtoP interessant. Erstens zeigt er sehr deutlich die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Verständnis von RtoP.  Zweitens enthält der Bericht eine Reihe von Empfehlungen, die auch deutsche Entscheidungsträger unter Zugzwang stellen könnten.

Unterschiede zwischen der deutschen und der US-Amerikanischen RtoP-Debatte

Der Bericht und seine Vermarktung am 23. Juli illustrieren zwei Verständnisse von RtoP. Während die Autoren das Konzept der Schutzverantwortung explizit als „politische Norm im Entstehen“ bezeichnen, sprechen deutsche Bundestagsabgeordnete und Vertreter des Auswärtigen Amtes – nicht zuletzt der deutsche „RtoP Focal Point“[2] – überwiegend von einem völkerrechtlichen Konzept.

Hieraus entstehen ein unterschiedlicher Handlungsdruck und zwei sehr unterschiedliche Debatten. In Deutschland wird immer noch überwiegend über abstrakte moral-philosophische oder rein völkerrechtliche Fragen diskutiert (zuletzt während einer entsprechenden Podiumsdiskussion auf dem Deutschen Forum Sicherheitspolitik). Die Expertengruppe von Albright und Williamson legt dagegen den Schwerpunkt ihres Berichtes auf die Umsetzung der Schutzverantwortung in konkreten Krisenfällen und die Frage, mit welchen Mitteln schwerste Menschenrechtsverbrechen verhindert werden können. Sie ist exemplarisch für das eher praktische und politische Verständnis von RtoP in den USA.

Im Zuge der Vorstellung des Berichtes zu RtoP veröffentliche die einflussreiche Online-Plattform Politico ein Op-Ed von Madeleine Albright und Richard Williamson. Reuters und die New York Times berichten am 24. Juli über die Veröffentlichung. Selbst wenn auch in Deutschland inzwischen in Ansätzen über die praktische Umsetzung von RtoP nachgedacht wird, gibt es hier oder in Europa keine vergleichbare zivilgesellschaftliche Lobby oder ähnlich breite politische Unterstützung für dieses Thema. Der Versuch einiger europäischer Organisationen die Genocide Prevention Task Force nachzuahmen war bisher nicht sonderlich erfolgreich. Die „European Task Force on the Prevention of Genocide and Mass Atrocities“ fand in Deutschland kaum Beachtung. Im Gegensatz zur Genocide Prevention Task Force und dem nun am 23. Juli veröffentlichten Nachfolgebericht, fanden die Initiatoren der europäischen Arbeitsgruppe weder substantielle finanzielle noch hochrangige politische Unterstützung. Die Öffentlichkeitsarbeit der Task Force beschränkte sich – auch maßgeblich aufgrund fehlender Gelder – auf eine Vorstellung des Berichtes in Brüssel ohne jegliches Medienecho.

Auch für Deutschland und die EU sind die Empfehlungen der Arbeitsgruppe relevant

Die wichtigsten Empfehlungen der Genocide Prevention Task Force aus dem Jahre 2008 wurden von der Obama-Administration umgesetzt und resultierten unter anderem in der Schaffung des ressortübergreifenden Atrocities Prevention Board. Es bleibt abzuwarten, ob die Empfehlungen des nun veröffentlichten Berichts ähnlich systematisch umgesetzt werden. Mit Susan Rice als Nationale Sicherheitsberaterin im Weißen Haus und der wahrscheinlichen Ernennung von Samantha Power zur UN-Botschafterin der USA stehen die Chancen aber nicht schlecht.

Sollte die US-Regierung den Empfehlungen der Arbeitsgruppe nachkommen, ist auch Deutschland gefragt, entsprechende Initiativen zu unterstützen.

Der Bericht empfiehlt der US-Regierung unter anderem:

  • Bei den Vereinten Nationen eine Initiative zur Verbesserung der globalen Kapazitäten zur Verhinderung von Gräueltaten zu starten und verstärkt Regionalorganisationen wie die Arabische Liga und die Afrikanische Union zu unterstützen.
  • Die „Toolbox“ von möglichen Maßnahmen zur Verhinderung von schwersten Menschenrechtsverbrechen zu erweitern. Dazu zählen die Autoren unter anderem die Nutzung neuer Technologien zur Alarmierung potentieller Gewaltopfer, spezielles Training für Personal der UN-Friedenssicherungsmissionen und die Schaffung spezieller „standby security units“ bei den Vereinten Nationen, die als eine besser bewaffnete Polizeieinheit schnell in Krisensituationen eingesetzt werden kann.
  • Den Internationalen Strafgerichthof stärker zu unterstützten. Dazu fordert die Arbeitsgruppe die Einrichtung eines gesonderten UN-Mechanismus für die finanzielle Unterstützung des IStGHs für Fälle, die vom Sicherheitsrat an den Gerichtshof überwiesen werden.
  • Sicherzustellen, dass das Atrocities Prevention Board und andere Reformen der Regierung Obama zu diesem Thema auch nach Ende seiner zweiten Amtszeit bestehen bleiben.
  • Eine umfassende Studie zur Verwendung moderner Technologie für die Verhinderung von Gräueltaten in Auftrag zu geben.
  • Sich regelmäßig mit anderen Ländern und internationalen NGOs auszutauschen und eigene Erfahrungen – zum Beispiel mit dem Atrocities Prevention Board – weitergeben.
  • Die Sondergesandten der Vereinten Nationen für die Verhinderung von Völkermord und RTOP stärker zu unterstützen und die Einführung eines regelmäßigen Berichtes der Sondergesandten an den Sicherheitsrat zu fordern.
  • Den Mitgliedern der OSZE vorzuschlagen, einen ausführlichen und der breiten Öffentlichkeit zugänglichen Plan zur Prävention und Bestrafung von schwersten Menschenrechtsverbrechen ausarbeiten.
  • Gemeinsam mit NATO-Partnern einen Plan zu entwickeln, wie die Kapazitäten von Regionalorganisationen für Krisenreaktion und den Schutz von Zivilisten gestärkt werden können. Hier sieht die Gruppe um Albright und Williamson den Kongress und die Parlamente der anderen NATO-Staaten in der Verantwortung für ausreichend finanzielle Unterstützung zu sorgen.
  • Regelmäßige Konsultationen durch das Weiße Haus und das US-Außenministerium mit Brasilien und anderen interessierten Staaten zur Implementierung von RTOP.

Viele dieser Forderungen sind im Einklang mit Positionen, die auch die Bundesregierung gerne unterstützt, zum Beispiel die Stärkung des IStGHs oder die Unterstützung von Regionalorganisationen. Andere werden sie mehr herausfordern. In jedem Fall lohnt es sich für Entscheidungsträger und andere RtoP-Interessierte in Deutschland diesen Bericht zu lesen.

 

Sarah Brockmeier ist stellvertretende Vorsitzende von Genocide Alert e.V. Eine erweiterte Version ist am 01.08.2013 hier auf dem „Sicherheitspolitik Blog“ der Universität Frankfurt erschienen.

 

Hier weiter zum Bericht: „The United States and R2P: From Words to Action“


[1] Für eine detaillierte Analyse der Genocide Prevention Task Force und dem Thema der Verhinderung von Gräueltaten in den USA siehe: Sarah Brockmeier, Gerrit Kurtz und Philipp Rotmann: Schutz und Verantwortung: Über die US-Außenpolitik zur Verhinderung von Gräueltaten, Heinrich-Böll-Stiftung, Juni 2013.

[2] Vgl. zum Beispiel Beitrag des deutschen RTOP-Focal Points Otto Lampe bei der Veranstaltung „Menschen geschützt – gerechter Frieden verloren?“ der Evangelischen Akademie Berlin vom 13. – 15. Juni 2013.